Was haben die Finnen, was wir nicht haben?

    (Bild: zVg) Eric G. Sarasin

    Schon wieder diese Finnen! Zum zweiten Mal in Folge wurden anfangs Jahr die Nordeuropäer zu den glücklichsten Menschen der Welt gekürt. Laut dem «World Happiness Report», der auf Umfragen des Gallup-Instituts beruht und 156 Länder vergleicht, geht es den Finnen – ganz subjektiv – am besten. Die Schweiz hingegen ist zwar im Glücksindex von Platz 5 im letzten Jahr auf Platz 6 abgerutscht, aber immer noch unter den Top Ten.

    Doch warum sind diese Finnen so glücklich? Ich habe versucht zu recherchieren, woran das liegen könnte.

    Da wäre zunächst das Jedermannsrecht – auf Finnisch «Jokamiehenoikeus». Es steht für das ungeschriebene Gesetz, die Natur zu geniessen, im Wald Beeren zu pflücken, Pilze zu sammeln oder stundenlang auf ihr unglaublich sauberes Wasser in einem der tausend Seen zu schauen. Das, was bei uns jetzt gerade trendy ist, war bei den Finnen von jeher normal. Die Finnen lieben ihre heile Natur, die herrlich frische Luft und das, was die Natur ihnen zum Leben bietet und nutzen das mehrmals wöchentlich. Wenn andere Menschen eine Therapie machen, ziehen sie ihre Gummistiefel an und gehen in den Wald.

    «Kalsarikännit» – Wer hets erfunden?
    Dann haben die Finnen eine Entspannungstechnik, die wir vielleicht auch ab und zu anwenden, jedoch (noch) kein Wort dafür haben. Die Finnen hingegen schon: «Kalsarikännit». Das Gefühl, wenn man sich allein zu Hause, nur mit Unterwäsche bekleidet, betrinkt– ohne jegliche Absicht, das Haus zu verlassen. Man stelle sich vor: Ein Drink. Zu Hause. In Unterwäsche. Dafür gibt es ein Wort! Es stimmt, viele Finnen haben ein Problem mit dem Alkohol, und obwohl der Staat alles Mögliche unternimmt, dem abzuhelfen, wird eigentlich immer getrunken. Der hohe Preis wirkt offenbar nicht abschreckend. Denn noch mehr Finnen haben ein Problem ohne Alkohol.

    Sicherheit dank Gleichberechtigung und staatlicher Fürsorge
    Ein weiterer Grund zum Glücklichsein liegt sicher darin, dass nirgendwo in Europa das Armutsrisiko geringer ist als in Finnland – unter anderem auch dank massgeschneiderter staatlicher Hilfen. Die Finnen experimentieren sogar mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Ein weiterer wichtiger Grund für das Glück der Menschen in Finnland ist, dass die Gleichstellung von Mann und Frau seit langem erfolgreich gelebt wird: Finnland was das erste Land weltweit, das aktives und passives Wahlrecht für beide Geschlechter einführte, dies bereits 1906. Und als erstes Land der Welt wählten die Finnen 1907 Frauen ins Parlament. Finnische Frauen arbeiten in der Regel Vollzeit und erhalten bei der Kinderbetreuung grosse Unterstützung in hoher Qualität. Faszinierend ist in dem Zusammenhang das Pronomen «hän». Es bedeutet zugleich «er» und «sie». Diskriminierung fängt in der Sprache an, beziehungsweise hört sie dort bei den Finnen auf.

    Miteinander schwitzen
    Natürlich spielt auch Sauna eine glücksauslösende Rolle und hat nichts mit dem hierzulande neuartigen Wunsch nach Wellness zu tun. Sauna ist seit jeher ein so grosser Teil der finnischen Kultur, dass auf nur zwei Finnen im Schnitt eine Sauna kommt. Die Sauna ist Treffpunkt für Familie und Freunde, auch geschäftliche Anlässe finden mitunter in der Hitze einer Sauna statt. Nicht umsonst gibt es mehr als zwei Millionen Saunen bei gerade mal 5,5 Millionen Einwohnern. Ein nicht zu unterschätzender Glücksfaktor ist, dass in der Sauna irgendwie alle gleich sind, und je kleiner die Unterschiede, desto geringer das glücksmindernde Ungerechtigkeitsgefühl, und so öffnet sich die innere Türe leichter fürs Glücklichsein.

    Was, Finnen haben Humor…?
    Finnland ist eine Weltmeisternation, ob beim Eishockey, Skispringen oder im Motorsport. Aber wissen Sie, welche anderen Sportarten die Finnen für nationale- oder sogar Weltmeisterschaften erfunden haben? Da wären zum Beispiel: die finnische Meisterschaft in Schneeballschlacht oder der nordische Wettbewerb im Handyweitwurf. Oder die alljährlich stattfindende Weltmeisterschaft im Frauentragen, zum Teil huckepack und kopfüber, bei der die Frauen allerdings sehr seetauglich sein müssen. Nicht zuletzt soll die Sportart Gummistiefelweitwurf auch den Finnen zu verdanken sein wie auch der Matschfussball. Die angeblich so humorlosen Finnen erfinden solch witzige Sportarten! Was sportliche Erfindungen angeht, muss sich die Schweiz natürlich nicht verstecken, können wir doch das Schwingen, das Hornussen, das Waffenlaufen oder das Unspunnenfest für uns beanspruchen, was aus internationaler Sicht sicher nicht minder exotisch anmutet als Frauentragen oder Handyweitwurf.

    So grosse Unterschiede gibt es zwischen den Schweizern und den Finnen also nicht. Auch der Schweizer geht mitunter gern in die Sauna, die Gleichberechtigung ist auf gutem Wege und Wandern ist sowieso des Schweizers Lieblingsbeschäftigung. Nur beim «Kalsarikännit» besteht Nachholbedarf. Doch egal, ob man in Helsinki Hauptbahnhof oder in Basel SBB am Morgen aus dem Zug steigt – kaum jemand käme auf die Idee, die vorbeieilenden Menschen als besonders heiter oder lebenslustig zu beschreiben. Darum stellt sich mir die Frage, ob Sicherheit, Ausbildung, Arbeit, Freiheit und all die Dinge, die ein Land lebenswert machen, zwar Zufriedenheit hervorrufen, aber das grosse Glück…? Können Glück und Wohlbefinden überhaupt wissenschaftlich nachgewiesen werden? Wohl eher nicht, weshalb weitere Daten wie Bruttoinlandsprodukt, Korruption, Lebenserwartung und Vertrauen in die Regierung auch Eingang in die Bewertung des «World happiness reports» gefunden haben. Doch ganz gleich, ob wir miteinander schwitzen, einen Spaziergang in der Natur oder einen Skiausflug machen, ein Fondue mit Freunden essen oder einen Abend «Kalsarikännit» praktizieren, all dies kann kleine oder grosse Glücksmomente hervorrufen. Egal, ob in Finnland, in der Schweiz oder anderswo. Wir müssen sie nur erkennen.

    Eric G. Sarasin


    ZUR PERSON

    Eric G. Sarasin ist Inhaber seiner Familienfirma «White Sail Consulting AG», von welcher er aus verschiedene Verwaltungsratsmandate inne hat, in Unternehmen investiert und Jungfirmen berät. Er ist in diversen wohltätigen Organisationen aktiv, wie bei der Krebsliga beider Basel, der Stiftung «Race for Water» und in mehreren Stiftungsräten.

    Eric G. Sarasin ist verheiratet mit einer Amerikanerin und Vater von vier Kindern. Zu seinen Hobbies gehören sportliche Aktivitäten wie Joggen, Yoga, Golf, Fussball und Langlauf. Zudem interessiert er sich für die Filmwelt und Politik.

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