Ein «langsamer Prozess einer Annektierung»?

    Ist der Centralbahnplatz für Basel ein «Imagekiller»?

    Haben wir in Basel ein Problem mit Randständigen oder kommt es einigen nur so vor? Sind der Claraplatz oder der Centralbahnplatz in der Gefahr eines «langsamen latenten Prozesses einer Annektierung» durch eine überdimensional hohe Präsenz von randständigen Personen? Die Meinungen hierzu gehen weit auseinander und werden emotional vertreten.

    (Bilder: JoW) Ein eigentlich gelungener, schöner Centralbahnplatz: Einigen Kreise in Basel jedoch missfällt das Ambiente speziell vor dem Coop-Eingang und dem Vorplatz beim Bahnhof-Haupteingang.

    Am Centralbahnplatz würde es mittlerweile penetranter als je zuvor nach Alkohol und Nikotin riechen und kaum eine Sitzbank sei noch nicht von mindestens einer oder einem Randständigen schon in Beschlag genommen worden. Niemand mehr würde unbefangen diese öffentlichen Sitzgelegenheiten heute noch nutzen, um in Ruhe eine Pause zu machen. Der Platz, immerhin eine der Visitenkarten Basels  und der erste Eindruck der Stadt bei einem auswärtigen Bahnreisenden, verkomme und würde schon längst nicht mehr einladend sein. Das Ambiente leidet.

    So empfinden offenbar einige Bürgerinnen und Bürger die Lage beim Bahnhof SBB – speziell der Vorplatz beim Haupteingang sei, so kommuniziert beispielsweise die SVP,  endgültig zu einem dreckigen «Unort» verkommen. Nicht nur für jene, die regelmässig sich am Centralbahnplatz aufhalten sei dieses Ambiente störend. Auch die Hoteliers und Betreiber der umliegenden Betriebe haben wiederholt ihrem Unmut Luft verschafft. Unterstützung bei ihrer Kritik erhalten sie von Tourismusdirektor offenbar, wie Medien berichten, von Daniel Egloff. Schliesslich sei der erste und der letzte Eindruck von Basel kein sehr ansprechender.

    Bereits seit zwei Jahren ein Zankapfel und Dorn im Auge vieler: Die Bank neben dem Claraplatz-Kiosk – Der Treffpunkt für Randständige im Kleinbasel.

    Die Frage nach dem «Wohin»
    Es werden nun von einigen Kreisen  Massnahmen gefordert, um die Situation zu verbessern. Eine kurzfristig und effizient umsetzbare Lösung hat aber noch niemand aus dem Hut gezaubert. Inspirieren lassen könnte man sich da von einer Massnahme, die man in Bern vor zwölf Jahren bereits umgesetzt hat und die offenbar erfolgreich war: Das «la gare», im Volksmund  «Alki-Stübli» genannt. Hier treffen sich seitdem jene, die früher auf dem Bahnhofsvorplatz sassen. Rund um den Bahnhof wurde die Polizeipräsenz verstärkt. Wenn jemand herumlungert, wird auf das Angebot hingewiesen. Das «Alki-Stübli» ist eine einfache und effiziente Lösung: Es sind zwei Container, die im Winter geheizt, im Sommer gekühlt sind. Man kann sogar in einem Kühlschrank sein Bier kalt stellen und es gibt Tische und Stühle für 35 Personen.

    Treffpunkt für Trost und Information unter Gleichgesinnten
    Die Diskussionen um Räume, wo sich die randständigen Menschen aufhalten sollten, sind nicht neu. Im öffentlichen Raum hat grundsätzlich jeder seine «Daseinsberechtigung» und darf sich aufhalten, wo sie/er möchte. Ein Problem wird es nur, wenn sich eine Konzentration einer bestimmten Gruppierung mit einem bestimmten Verhaltensmuster ergibt und man den Anschein bekommt, diese habe jetzt nun diesen Ort für sich «besetzt». Also gewissermassen die Duftmarken gesetzt. 2015 wurde eine hitzige Diskussion geführt über das Verhalten einiger Randständigen am Claraplatz und deren Folgen. Jetzt steht der Centralbahnplatz im Fokus.

    Idyllisch und gemütlich, einladend und grosszügig: Der Claraplatz. Kritisiert wird jedoch, dass die Sitzbänke zu oft von den Randständigen «besetzt» wür-den. Auch hier gehen die Meinungen auseinander.

    Beliebt bei den Betroffenen aber kein Ersatz
    In erster Linie darf gesagt werden: Es gibt sie, die «Räume für die Randständigen» in Basel. Beim  Treffpunkt Glaibasel, im Tageshaus an der Wallstrasse, am Winkelriedplatz, regelmässig an der Matthäuskirche und an einigen Orten mehr können sich jene, die kein Zuhause oder keine Perspektive gefunden haben treffen und ausruhen. Aber dies sind keine öffentlichen Räume im eigentlichen Sinne wie eine  Parkanlage oder ein Platz. Aber genau diese Plätze sind offenbar wichtig für die Betroffenen. An öffentlichen Plätzen mit Gleichgesinnten und Menschen in ähnlicher Lebenssituation  ist man nicht isoliert, hier «fin-det man statt» und man kann im Gegensatz zu den «offiziel-len» Treffpunkten eine gewisse Gruppenzugehörigkeit demons-trieren. Als Grund für den Drang nach dieser Gruppenzugehörig-keit nennen viele nicht nur die Verfügbarkeit von Suchtmit-teln, Alkohol und Nikotin, son-dern besonders die emotionale Unterstützung (Spenden von Trost, Verständnis und Bestäti-gung) und den sozialen Nutzen (Informationsaustausch, Tipps im Umgang mit Behörden) und schliesslich auch der Schutz der Gruppe um nicht «ausgestellt» zu sein» als Hauptgründe, sich an einem bestimmten Ort mit Gleichgesinnten aufzuhalten. Das Betteln sei kaum ein Motiv für den Aufenthalt auf öffentli-chen Plätzen.

    «Lieber nicht in Kontakt kommen…»
    Eine Studie des Schweizerischen Nationalfonds hat sich 2012 mit den Randständigen in Schwei-zer Städten befasst: Es wurde herausgefiltert, wer sie sind, was sie bei anderen auslösen, wie sie behandelt werden. 206 Rand-ständige und über 1’000 Passan-ten wurden befragt. Fünf Städte wurden untersucht, wobei klar wurde, dass Bern am meisten auf sein Image diesbezüglich achte und den Betroffenen vor allem alternative Orte ausserhalb der Innenstadt «mit Nachdruck» an-biete. Am liberalsten ist Zürich und Chur überlässt die «Klien-tel» sich selbst. Basel wurde in dieser Untersuchung leider nicht berücksichtigt. Fakt ist aber ge-mäss dieser Studie eines: Viele der befragten Passanten empfin-den es als störend, wenn sie den Gruppen nicht aus dem Weg ge-hen können. Die untersuchten Randständigen waren  zu fast Dreiviertel Männer. Sie leiden oft an physischen und psychi-schen Krankheiten. Sehr häu-fig sind Gelenk- und Knochen-schmerzen. Ein Viertel besitzt in der Regel auch  keine feste Un-terkunft. Das Durchschnittsal-ter liegt bei 35 Jahren.

    JoW

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